4 August 2025 | Internationales, Non classé
Am 23. Juli 2025 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) sein Rechtsgutachten zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten in Bezug auf den Klimawandel. Dieses war am 29. März 2023 durch eine Resolution der UNO-Generalversammlung, initiiert durch den Inselstaat Vanuatu, beantragt worden. In der schriftlichen Phase sowie in den öffentlichen Anhörungen im Dezember 2024 wurde die höchste Beteiligung von Staaten und internationalen Organisationen an einem Verfahren bis anhin verzeichnet. Das Rechtsgutachten wurde von sämtlichen Richterinnen und Richter einstimmig angenommen.
Dem Rechtsgutachten zugrunde liegen zwei generell gefasste, von der Generalversammlung in ihrer Resolution gestellte Fragen. Zusammengefasst haben die beiden Fragen folgenden Gegenstand: die erste zielt auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten ab, das Klimasystem zu schützen und die zweite betrifft die Rechtsfolgen für Staaten, die dem Klima und anderen Teilen der Umwelt erheblichen Schaden zugefügt haben.
Von Expert:innen und am Verfahren beteiligten Jurist:innen sowie Vertreter:innen der Studierenden, welche die Resolution der Generalversammlung angestossen hatten, wird das Rechtsgutachten als grossen Erfolg für den Klimaschutz angesehen – einerseits, da es den Klimawandel als existenzielles, durch den Mensch verursachtes Problem anerkennt, das alle Lebensformen auf der Erde bedroht [Rz. 456]1 und klare völkerrechtliche Pflichten zu dessen Bekämpfung aufzeigt und andererseits, da das Gutachten sehr umfassend ist und viele bislang umstrittene Fragen anspricht und beantwortet. Obwohl das Rechtsgutachten nicht rechtlich verpflichtend ist, hat es doch einen grossen Einfluss auf das Völkerrecht, da es zeigt, wie der höchste Gerichtshof das geltende Recht auslegt. Es ist anzunehmen, dass es die Rechtsprechung sowohl nationaler als auch supranationaler Gerichte massgeblich beeinflussen wird und somit eine sehr wichtige Grundlage für zukünftige Gerichtsverfahren im Klimabereich darstellt. Dies insbesondere auch, da dieses Gutachten die Argumentation untermauert, dass Staaten, die keine glaubwürdigen Massnahmen zur Erreichung der Netto-Null-Emissionsziele bis 2050 ergreifen, gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstossen. Ebenfalls könnte es einen Einfluss auf zukünftige legislative Entscheidungen und das Verhalten von Staaten auf internationaler Ebene haben. Somit kommt ihm eine zentrale Rolle in der Anwendung des Völkerrechts zu.
Folgende Aspekte des Rechtsgutachtens sind zentral: Der Gerichtshof stellte fest, dass das im Pariser Abkommen festgehaltene 1.5°C-Ziel das Haupttemperaturziel ist, dass es einzuhalten gilt [Rz. 224]. Gemäss IGH sind die Parteien dieses Abkommens verpflichtet, bei der Ausarbeitung ihrer nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) gebotene Sorgfalt walten zu lassen und sicherzustellen, dass sie insgesamt das obengenannte Ziel erreichen [Rz. 245] – dies entgegen der Argumentation einiger Staaten, dass der Inhalt der NDCs vollständig in ihrem Ermessen liegt. Das Gericht hielt zudem fest, dass die Nichteinhaltung von Verpflichtungen zu Emissionsreduzierung durch einen Staat eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen kann [Rz. 221], was zur Anwendung des Rechts der Staatenverantwortlichkeit und folglich zu einem Anspruch von durch den Klimawandel geschädigte Staaten auf Wiedergutmachung, Entschädigung oder Genugtuung führen kann [Rz. 444-455]. Dies kann den Wiederaufbau von Infrastruktur, die Wiederherstellung von Ökosystemen oder finanzielle Entschädigungen beinhalten [Rz. 451-454].
Die Verpflichtungen im Klimabereich haben gemäss IGH überdies erga omnes Charakter, d.h. sie gelten gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft [Rz. 440]. Somit ebnet der Gerichtshof den Weg für Klagen der Staaten untereinander, insbesondere gegen Staaten mit hohen Emissionen – wobei wohl auch historische Emissionen berücksichtigt würden [Rz. 429]. Der IGH entkräftet auch das oft benutzte Argument, dass die Verantwortlichkeit eines einzelnen Akteurs nicht etabliert werden könne, da viele Akteure zum Klimawandel beigetragen haben: Es ist wissenschaftlich möglich, den Beitrag jedes Staates an den globalen Emissionen zu ermitteln [Rz. 429]. Somit kann auch bei einer Vielzahl beteiligter Staaten jeder Staat für seinen Beitrag haftbar gemacht werden [Rz. 431]. Auch in Bezug auf die Kausalität verweist der IGH auf wissenschaftliche Erkenntnisse, betont dabei aber, dass der Beitrag zum durch den Klimawandel verursachten Schaden, der dem Staat zugerechnet werden kann, im konkreten Fall ermittelt werden muss [Rz. 437].2
Das Gericht wies eines der Hauptargumente der stark emittierenden Staaten zurück, indem es feststellte, dass alle Staaten verbindliche Verpflichtungen zur Emissionsminderung haben. Diese bestehen nicht nur gemäss dem UNFCCC, dem Kyoto-Protokoll und dem Pariser Abkommen – welche gemäss dem IGH untereinander komplementär sind – sondern ergeben sich auch aus den internationalen Menschenrechten, dem Seerechtsübereinkommen, dem Völkergewohnheitsrecht und anderen einschlägigen Verträgen [Rz. 172].3 Somit wurde das von Staaten mit hohen Emissionen oft benutzte lex specialis-Argument, wonach sich das auf den Klimawandel anwendbare Völkerrecht nur aus den spezifischen Verträgen ergibt und anderes Völkerrecht nicht oder nur subsidiär anwendbar ist, entkräftet [Rz. 162-171]. Zudem können sich die Staaten auch mit einem Austritt aus dem Pariser Abkommen nicht von ihrer Verantwortung befreien: Das Gericht stellte ausdrücklich fest, dass Staaten wie die USA, die aus dem Pariser Abkommen ausgetreten sind, dennoch nach Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, ihre Emissionen zu reduzieren [Rz. 315].
Ebenso wurde die Möglichkeit einer Haftung von Ländern wie China und Indien eröffnet, da der Gerichtshof feststellte, dass die Einstufung eines Staates als Entwicklungsland oder Industrieland – mit der nach dem Prinzip der „common but differentiated responsibilities and respective capabilities“ unterschiedliche Verpflichtungen einhergehen – nicht statisch ist, sondern von den aktuellen Gegebenheiten des einzelnen Staates abhängt. Stark emittierende Staaten wie die beiden obengenannten gelten folglich nicht zwangsläufig als Entwicklungsländer und können sich dadurch nicht ohne Weiteres auf die Anwendbarkeit von weniger strengen Regeln berufen [Rz. 226]. Schliesslich unterliegen Staaten mit grösseren wirtschaftlichen und technischen Kapazitäten einer strengeren Sorgfaltspflicht [Rz. 292].
Eine wichtige Aussage des Rechtsgutachtens ist ebenfalls, dass das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt eine inhärente Voraussetzung für die Verwirklichung anderer Menschenrechte ist und somit aus völkerrechtlicher Perspektive als essenziell für die Wahrnehmung anderer Menschenrechte angesehen werden muss [Rz. 393]. Zudem erkannte der Gerichtshof an, dass der Klimawandel verschiedene Menschenrechte, wie bpsw. das Recht auf Leben gefährden kann [Rz. 377].
Ausserdem ist bemerkenswert, dass das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems vor Treibhausgasemissionen zu ergreifen – einschließlich durch die Förderung fossiler Brennstoffe, den Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Brennstoffe oder die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe – eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen kann, die diesem Staat zuzurechnen ist [Rz. 427]. Auch das Handeln von privaten Akteuren ist nicht irrelevant: So können sich Staaten haftbar machen, wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, die erforderlichen regulatorischen und legislativen Massnahmen zu ergreifen, um die Menge der Emissionen privater Akteure in ihren Zuständigkeitsbereichen zu begrenzen [Rz. 428].
Schliesslich konnten kleine Inselstaaten sowie andere Staaten, die von Überschwemmung bedroht sind, einen grossen Erfolg verzeichnen: Der Gerichtshof anerkannte, dass Staaten, die aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels dauerhaft überflutet werden, ihre volle Staatlichkeit und ihre maritimen Grenzen behalten, selbst wenn ihre Bevölkerung dauerhaft vertrieben wurde [Rz. 363]. Ausserdem findet gemäss des Gerichtshofs der menschenrechtliche Grundsatz des Non-Refoulement auch grenzüberschreitend auf durch den Klimawandel vertriebene Personen Anwendung [Rz. 378].
Als nächstes könnte das Rechtsgutachten von der UN-Generalversammlung durch eine Resolution, die dessen Umsetzung fordert, gestärkt werden. Es ist wie erwähnt anzunehmen, dass es eine wichtige Rolle in einer Vielzahl von Gerichtsverfahren in den kommenden Jahren spielen wird. In diesen Verfahren wird es wohl auch im Zusammenhang mit anderen in letzter Zeit ergangenen Urteilen und Rechtsgutachten angerufen werden, welche ebenfalls völkerrechtliche Verpflichtungen von Staaten thematisieren und mit dem Gutachten des IGH vereinbar sind (vgl. insbesondere das Rechtsgutachten des Internationalen Seegerichtshofs, das Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dem Urteil im Fall Verein KlimaSeniorinnen Schweiz und Andere gegen die Schweiz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).
Das Gutachten auf Englisch finden Sie hier, die offizielle Zusammenfassung auf Englisch hier. Vgl. für weitere Informationen hier und hier.
Alexandra Glarner
6 Juni 2025 | Non classé
Am 28. Mai 2025 fand die mündliche Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm im Fall des peruanischen Bauers und Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE statt. Mit diesem Urteil geht ein bedeutendes Kapitel im Bemühen um eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit für klimaschädliche Emissionen zu Ende, über das wir bereits mehrmals berichtet haben (vgl. hier und hier). Obwohl die Klage letztlich abgewiesen wurde, spricht die NGO Germanwatch, welche den Kläger unterstützt hatte, von einem bahnbrechenden Urteil. Dies insbesondere, da erstmals ein hohes Gericht in Europa rechtlich feststellte, dass grosse Emittenten zivilrechtlich für die konkreten Folgen der Klimakrise haftbar gemacht werden können – auch dann, wenn diese in einem anderen Land eintreten.
Folgender Sachverhalt liegt dem Fall zugrunde: Das Haus des Klägers in der peruanischen Stadt Huaraz liegt unterhalb eines Gletschersees, der durch die Schmelze des Gletschers aufgrund des Klimawandels erheblich an Volumen zugenommen hat. Wegen der davon ausgehenden Überschwemmungsgefahr hat der Kläger Schutzmassnahmen getroffen. Da das Unternehmen RWE durch seinen hohen CO2-Ausstoss nachweislich zum Klimawandel beigetragen hat, verlangte der Kläger eine anteilige Beteiligung der Kosten dieser Schutzmassnahmen: konkret eine Übernahme von ca. 0.38 % der Gesamtkosten (ursprünglich von 0.47 %; vgl. S. 15 des Urteils), was dem Prozentsatz des geschätzten Beitrags von RWE zu den weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen seit Beginn der Industrialisierung entspricht (vgl. S. 2 ff.).
Zentraler Anknüpfungspunkt der juristischen Prüfung war § 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der dem Eigentümer bei drohender Beeinträchtigung seines Eigentums einen Abwehr- und gegebenenfalls Beseitigungsanspruch gegen den Störer gewährt. Das Gericht bekräftigte in seiner Begründung, dass falls eine Beeinträchtigung drohe, der Verursacher von CO2-Emissionen verpflichtet sei, Massnahmen zur deren Verhinderung zu ergreifen. Falls er diese endgültig verweigere, könne bereits vor dem Entstehen tatsächlicher Kosten festgestellt werden, dass er für diese entsprechend seinem Emissionsanteil aufkommen müsse (S. 35 b)).
Zudem bestätigte das Gericht, dass dieser Anspruch – entgegen der Argumentation der Beklagten – nicht auf innerstaatliche Sachverhalte beschränkt sei: Die erhebliche räumliche Distanz zwischen den CO₂-emittierenden Kraftwerken in Deutschland und dem vom Kläger bewohnten Grundstück in den peruanischen Anden stehe der Anwendung dieser Norm nicht grundsätzlich entgegen (S. 39, ff)). Die Beklagte konnte sich von dieser Haftung auch nicht dadurch befreien, dass die emittierenden Anlagen in den letzten Jahrzehnten nicht von ihr selbst, sondern von ihren Tochterunternehmen betrieben worden sind, da die Emissionen der Tochtergesellschaften der Beklagten zuzurechnen sind, zumal sie den Konzern leitet und beherrscht (S. 43 ff. (1)).
In Bezug auf die Kausalitätsprüfung betonte das OLG, dass die schädlichen Wirkungen anthropogener Treibhausgasemissionen bereits Mitte 1960er Jahre vorhersehbar waren (S. 49 ff. (b)). Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Charles D. Keeling ist gemäss dem Gericht die klimaschädliche Wirkung der Verbrennung fossiler Energieträger für sachkundige Akteure vorhersehbar gewesen. Insofern seien die Emissionen adäquat kausal für die konkrete Gefährdung des Eigentums (S. 47 ff. (3); S. 49 (b)), da die geltend gemachte Gefahr – nämlich eine infolge der Gletscherschmelze drohende Flutwelle – eine vorhersehbare Folge des deutlich gesteigerten, industriellen CO2-Ausstosses darstelle.
Dem Argument der Beklagten, dass ein adäquater Zurechnungszusammenhang zu verneinen sei, weil sie die konkrete Gefährdung des klägerischen Grundstücks durch ihre Emissionen nicht in erheblicher Weise begünstigt oder herbeigeführt habe, wurde vom Gericht nicht akzeptiert. Vielmehr anerkannte es, dass RWE mit einem wissenschaftlich belegten Anteil von ca. 0.38 % am Gesamtausstoss von CO2-Emissionen einen erheblichen Beitrag an den globalen Emissionen geleistet hat (S. 51 ff. (bb)). Für eine Zurechnung spricht auch, dass die Emission von Treibhausgasen durch den Konzern auf freiem Willen und einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung beruhte und sie als grossindustrielle Betreiberin von Kohlekraftwerken das Risiko der Rechtsgutverletzung einzuschätzen und zu steuern vermochte (S. 56). Schliesslich zog sie daraus auch wirtschaftlichen Nutzen (S. 56).
Der Senat akzeptiert das Argument der Beklagten nicht, wonach Lösungen für den Klimawandel ausschliesslich auf der staatlichen und politischen Ebene gefunden und umgesetzt werden müssen (S. 59 (5)). Auch das Argument, dass es sich um eine Instrumentalisierung (und somit eine Überlastung) der Justiz für die Durchsetzung umweltpolitischer Ziele handle, wurde vom Gericht als nicht überzeugend abgetan (S. 63 f. (c)). Ebenso kann sie als Handlungsstörerin in Anspruch genommen werden, auch wenn sie eine Störerin unter mehreren ist (S. 64 f. (6)). Da der Abwehranspruch an der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung, also des herbeigeführten Erfolgs – und nicht etwa der Rechtswidrigkeit der Handlung selbst anknüpft – kann Verantwortung auch für rechtmässiges Handeln entstehen (S. 67 ff. (b)). Schliesslich kam dem Kläger keine Duldungspflicht zu (S. 68 ff.).
Ein wichtiger Aspekt des Urteils betrifft die Einordnung des klimaschädlichen Verhaltens von RWE im Lichte staatlicher Genehmigungen. Das Gericht stellte klar, dass auch genehmigte Tätigkeiten keine Duldungspflicht des Klägers bewirken (S. 79 f.). Die Berufung auf eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis vermag zivilrechtliche Ansprüche somit nicht per se auszuschließen. Dasselbe gilt für einen allfälligen Auftrag zur Energieversorgung (S. 80 ff. (e)). Schliesslich konnte auch eine Selbstgefährdung oder Mitverantwortung des Klägers die Haftung nicht ausschliessen (S. 85 f. ee)).
Trotz der Zulässigkeit der Klage und der grundsätzlichen Anerkennung eines möglichen Anspruchs nach § 1004 BGB wurde die Berufung des Klägers letztlich wegen der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens zurückgewiesen. Die umfangreiche Beweisaufnahme – darunter eine Ortsbesichtigung in Peru im Mai 2022 sowie die Anhörung mehrerer Sachverständiger im März 2025 – ergab, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit einer schadensrelevanten Flutwelle bei rund einem Prozent liegt und somit vom Gletschersee keine ernsthaft drohende Gefahr für sein Grundstück ausgeht (S. 100 ff. ((3); S. 110 (dd)). Selbst im hypothetischen Eintrittsfall sei mit einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung des Hauses des Klägers zu rechnen. In diesem Zusammenhang wurde die vom Kläger kritisierte Methodik der Gefahrenanalyse vom Gericht nicht beanstandet (S. 114 ff. (b); S. 124 ff. (c)).
Auch wenn Saúl Luciano Lliuya im konkreten Verfahren unterlag, stellt das Urteil des OLG Hamm eine juristische Zäsur dar. Erstmals hat ein deutsches Obergericht ausdrücklich anerkannt, dass § 1004 BGB auf grenzüberschreitende klimaspezifische Eigentumsgefährdungen anwendbar ist. Ausserdem wurde anerkannt, dass auch Emissionsbeiträge von einem einzelnen Konzern rechtlich erheblich sein können. Damit wird der Weg für die zukünftige zivilrechtliche Inanspruchnahme großer Emittenten eröffnet – vorausgesetzt, eine relevante Gefährdungslage kann nachgewiesen werden. Die Entscheidung klärt zentrale Rechtsfragen zur zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen für die Folgen der Klimakrise und entkräftet gängige Gegenargumente von Unternehmen mit hohen CO2-Emissionen gegen ihre Haftbarkeit.
Von grosser Bedeutung wird dieses Urteil auch für im Rechtsstreit der vier Kläger:innen von der indonesischen Insel Pari sein, welche gegen das Unternehmen Holcim eine ähnliche Klage in der Schweiz eingereicht haben (vgl. hier und hier). Es wird sich zeigen, ob das Kantonsgericht Zug die Argumentation des OLG Hamm auch in das schweizerische Haftpflichtrecht übernehmen wird. Im deutschen Recht kennt die zivilrechtliche Verantwortung für hohe Emissionen – so das implizite Signal des Urteils – auf jeden Fall keine geographischen Grenzen mehr.
Das Urteil finden Sie hier; eine Einordnung von Germanwatch hier und die Pressemitteilung hier.
Alexandra Glarner
7 Mai 2025 | Non classé
In der Stadt Den Haag in den Niederlanden trat am 1. Januar 2025 ein umfassendes Verbot für die Werbung von Produkten und Dienstleistungen, die mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden sind, in Kraft. Aufgrund dieses Gesetzes sind Werbungen für Flugreisen, Kreuzfahrten und Autos mit Verbrennungsmotoren sowie Energieverträge mit Strom aus Kohle und Gas auf öffentlichen Werbeflächen wie bspw. an Bushaltestellen untersagt. Das Verbot wird mit Verwarnungen sowie – bei wiederholtem Verstoss – mit Bussen durchgesetzt. Den Haag ist weltweit die erste Stadt mit einem derart weitreichenden Werbeverbot im Bereich fossiler Produkte und Dienstleistungen.
Gegen dieses Werbeverbot strengten der Verband der Reiseveranstalter ANVR sowie der Reiseveranstalter TUI einen Prozess an. Sie argumentierten, dass es die Meinungsfreiheit, die Rechtsgleichheit, die Wirtschaftsfreiheit und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletze sowie gegen EU-Recht verstosse. Entgegen dieser Argumentation bestätigte das zuständige Gericht in Den Haag am 25. April 2025 die Rechtmässigkeit des Werbeverbots mit der Begründung, dass die gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der Reiseveranstalter überwiegen und somit verhältnismässig seien. Zudem sei die Stadt dazu befugt, ein solches Verbot mit dem Zweck des Klimaschutzes sowie dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu erlassen.
Das Urteil wurde von Klimaschützer:innen wie Jonathan White, einem Anwalt der Umweltrechtsorganisation ClientEarth, begrüsst: das Verbot der Werbung für ein schädliches Produkt sei ein entscheidender Schritt zur Verringerung seines Konsums, wie die letzten Jahrzehnte in Bezug auf Tabakprodukte gezeigt hätten. Zudem seien – genau wie das Verbot für die Werbung von Tabakprodukten – auch Werbebeschränkungen für fossile Brennstoffe mit dem EU-Recht vereinbar, da die Bekämpfung der Klimakrise klarerweise im öffentlichen Interesse liege.
Auch der UNO-Generalsekretär António Guterres hat sich bereits zu solchen Werbeverboten geäussert: Am Weltumwelttag im Juni letzten Jahres forderte er die Staaten in einer Rede dazu auf, ein Werbeverbot für Produkte und Dienstleistungen, die hohe Treibhausgasemissionen verursachen, zu erlassen. Auch Medien- und Technologieunternehmen sollten keine solchen Produkte und Dienstleistungen mehr bewerben. Viele Akteure der Erdöl-, Gas und Kohleindustrien hätten durch grosse Werbekampagnen Greenwashing betrieben.
Ähnliche Regelungen wurden in Kanada und Irland sowie auf lokaler Ebene in Amsterdam und Edinburgh angestrebt. In Frankreich besteht seit 2022 ein Gesetz, welches die Werbung von solchen Produkten und Services beschränkt, diese gehen jedoch weniger weit als das oben beschriebene Werbeverbot. Die bestehenden Regelungen könnten andere lokale und regionale Behörden zu ähnlichen Gesetzen ermutigen.
Das Urteil finden Sie hier. Für weitere Informationen zum Gesetz vgl. hier und hier. Siehe für weitere Informationen zum Urteil hier.
Wir haben zudem bereits mehrmals über Fälle von Greenwashing berichtet: vgl. bspw. hier (Blackrock), hier (FIFA) und hier (KLM).
Alexandra Glarner