Am 28. Mai 2025 fand die mündliche Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm im Fall des peruanischen Bauers und Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE statt. Mit diesem Urteil geht ein bedeutendes Kapitel im Bemühen um eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit für klimaschädliche Emissionen zu Ende, über das wir bereits mehrmals berichtet haben (vgl. hier und hier). Obwohl die Klage letztlich abgewiesen wurde, spricht die NGO Germanwatch, welche den Kläger unterstützt hatte, von einem bahnbrechenden Urteil. Dies insbesondere, da erstmals ein hohes Gericht in Europa rechtlich feststellte, dass grosse Emittenten zivilrechtlich für die konkreten Folgen der Klimakrise haftbar gemacht werden können – auch dann, wenn diese in einem anderen Land eintreten

Folgender Sachverhalt liegt dem Fall zugrunde: Das Haus des Klägers in der peruanischen Stadt Huaraz liegt unterhalb eines Gletschersees, der durch die Schmelze des Gletschers aufgrund des Klimawandels erheblich an Volumen zugenommen hat. Wegen der davon ausgehenden Überschwemmungsgefahr hat der Kläger Schutzmassnahmen getroffen. Da das Unternehmen RWE durch seinen hohen CO2-Ausstoss nachweislich zum Klimawandel beigetragen hat, verlangte der Kläger eine anteilige Beteiligung der Kosten dieser Schutzmassnahmen: konkret eine Übernahme von ca. 0.38 % der Gesamtkosten (ursprünglich von 0.47 %; vgl. S. 15 des Urteils), was dem Prozentsatz des geschätzten Beitrags von RWE zu den weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen seit Beginn der Industrialisierung entspricht (vgl. S. 2 ff.).

Zentraler Anknüpfungspunkt der juristischen Prüfung war § 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der dem Eigentümer bei drohender Beeinträchtigung seines Eigentums einen Abwehr- und gegebenenfalls Beseitigungsanspruch gegen den Störer gewährt. Das Gericht bekräftigte in seiner Begründung, dass falls eine Beeinträchtigung drohe, der Verursacher von CO2-Emissionen verpflichtet sei, Massnahmen zur deren Verhinderung zu ergreifen. Falls er diese endgültig verweigere, könne bereits vor dem Entstehen tatsächlicher Kosten festgestellt werden, dass er für diese entsprechend seinem Emissionsanteil aufkommen müsse (S. 35 b)). 

Zudem bestätigte das Gericht, dass dieser Anspruch – entgegen der Argumentation der Beklagten – nicht auf innerstaatliche Sachverhalte beschränkt sei: Die erhebliche räumliche Distanz zwischen den CO₂-emittierenden Kraftwerken in Deutschland und dem vom Kläger bewohnten Grundstück in den peruanischen Anden stehe der Anwendung dieser Norm nicht grundsätzlich entgegen (S. 39, ff)). Die Beklagte konnte sich von dieser Haftung auch nicht dadurch befreien, dass die emittierenden Anlagen in den letzten Jahrzehnten nicht von ihr selbst, sondern von ihren Tochterunternehmen betrieben worden sind, da die Emissionen der Tochtergesellschaften der Beklagten zuzurechnen sind, zumal sie den Konzern leitet und beherrscht (S. 43 ff. (1)). 

In Bezug auf die Kausalitätsprüfung betonte das OLG, dass die schädlichen Wirkungen anthropogener Treibhausgasemissionen bereits Mitte 1960er Jahre vorhersehbar waren (S. 49 ff. (b)). Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Charles D. Keeling ist gemäss dem Gericht die klimaschädliche Wirkung der Verbrennung fossiler Energieträger für sachkundige Akteure vorhersehbar gewesen. Insofern seien die Emissionen adäquat kausal für die konkrete Gefährdung des Eigentums (S. 47 ff. (3); S. 49 (b)), da die geltend gemachte Gefahr – nämlich eine infolge der Gletscherschmelze drohende Flutwelle – eine vorhersehbare Folge des deutlich gesteigerten, industriellen CO2-Ausstosses darstelle. 

Dem Argument der Beklagten, dass ein adäquater Zurechnungszusammenhang zu verneinen sei, weil sie die konkrete Gefährdung des klägerischen Grundstücks durch ihre Emissionen nicht in erheblicher Weise begünstigt oder herbeigeführt habe, wurde vom Gericht nicht akzeptiert. Vielmehr anerkannte es, dass RWE mit einem wissenschaftlich belegten Anteil von ca. 0.38 % am Gesamtausstoss von CO2-Emissionen einen erheblichen Beitrag an den globalen Emissionen geleistet hat (S. 51 ff. (bb)). Für eine Zurechnung spricht auch, dass die Emission von Treibhausgasen durch den Konzern auf freiem Willen und einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung beruhte und sie als grossindustrielle Betreiberin von Kohlekraftwerken das Risiko der Rechtsgutverletzung einzuschätzen und zu steuern vermochte (S. 56). Schliesslich zog sie daraus auch wirtschaftlichen Nutzen (S. 56). 

Der Senat akzeptiert das Argument der Beklagten nicht, wonach Lösungen für den Klimawandel ausschliesslich auf der staatlichen und politischen Ebene gefunden und umgesetzt werden müssen (S. 59 (5)). Auch das Argument, dass es sich um eine Instrumentalisierung (und somit eine Überlastung) der Justiz für die Durchsetzung umweltpolitischer Ziele handle, wurde vom Gericht als nicht überzeugend abgetan (S. 63 f. (c)). Ebenso kann sie als Handlungsstörerin in Anspruch genommen werden, auch wenn sie eine Störerin unter mehreren ist (S. 64 f. (6)). Da der Abwehranspruch an der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung, also des herbeigeführten Erfolgs – und nicht etwa der Rechtswidrigkeit der Handlung selbst anknüpft – kann Verantwortung auch für rechtmässiges Handeln entstehen (S. 67 ff. (b)). Schliesslich kam dem Kläger keine Duldungspflicht zu (S. 68 ff.).

Ein wichtiger Aspekt des Urteils betrifft die Einordnung des klimaschädlichen Verhaltens von RWE im Lichte staatlicher Genehmigungen. Das Gericht stellte klar, dass auch genehmigte Tätigkeiten keine Duldungspflicht des Klägers bewirken (S. 79 f.). Die Berufung auf eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis vermag zivilrechtliche Ansprüche somit nicht per se auszuschließen. Dasselbe gilt für einen allfälligen Auftrag zur Energieversorgung (S. 80 ff. (e)). Schliesslich konnte auch eine Selbstgefährdung oder Mitverantwortung des Klägers die Haftung nicht ausschliessen (S. 85 f. ee)). 

Trotz der Zulässigkeit der Klage und der grundsätzlichen Anerkennung eines möglichen Anspruchs nach § 1004 BGB wurde die Berufung des Klägers letztlich wegen der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens zurückgewiesen. Die umfangreiche Beweisaufnahme – darunter eine Ortsbesichtigung in Peru im Mai 2022 sowie die Anhörung mehrerer Sachverständiger im März 2025 – ergab, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit einer schadensrelevanten Flutwelle bei rund einem Prozent liegt und somit vom Gletschersee keine ernsthaft drohende Gefahr für sein Grundstück ausgeht (S. 100 ff. ((3); S. 110 (dd)). Selbst im hypothetischen Eintrittsfall sei mit einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung des Hauses des Klägers zu rechnen. In diesem Zusammenhang wurde die vom Kläger kritisierte Methodik der Gefahrenanalyse vom Gericht nicht beanstandet (S. 114 ff. (b); S. 124 ff. (c)).

Auch wenn Saúl Luciano Lliuya im konkreten Verfahren unterlag, stellt das Urteil des OLG Hamm eine juristische Zäsur dar. Erstmals hat ein deutsches Obergericht ausdrücklich anerkannt, dass § 1004 BGB auf grenzüberschreitende klimaspezifische Eigentumsgefährdungen anwendbar ist. Ausserdem wurde anerkannt, dass auch Emissionsbeiträge von einem einzelnen Konzern rechtlich erheblich sein können. Damit wird der Weg für die zukünftige zivilrechtliche Inanspruchnahme großer Emittenten eröffnet – vorausgesetzt, eine relevante Gefährdungslage kann nachgewiesen werden. Die Entscheidung klärt zentrale Rechtsfragen zur zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen für die Folgen der Klimakrise und entkräftet gängige Gegenargumente von Unternehmen mit hohen CO2-Emissionen gegen ihre Haftbarkeit. 

Von grosser Bedeutung wird dieses Urteil auch für im Rechtsstreit der vier Kläger:innen von der indonesischen Insel Pari sein, welche gegen das Unternehmen Holcim eine ähnliche Klage in der Schweiz eingereicht haben (vgl. hier und hier). Es wird sich zeigen, ob das Kantonsgericht Zug die Argumentation des OLG Hamm auch in das schweizerische Haftpflichtrecht übernehmen wird. Im deutschen Recht kennt die zivilrechtliche Verantwortung für hohe Emissionen – so das implizite Signal des Urteils – auf jeden Fall keine geographischen Grenzen mehr.

Das Urteil finden Sie hier; eine Einordnung von Germanwatch hier und die Pressemitteilung hier.

Alexandra Glarner