8 Februar 2024 | Internationales
Im August 2019 reichte Michael John Smith[1] Klage gegen sieben neuseeländische Unternehmen ein, die im Landwirtschafts- und Energiesektor tätig sind und alle hohe CO2-Emissionen verursachen bzw. mit fossilen Brennstoffen handeln. Seine Klage richtet sich unter anderem gegen den Milchwirtschaftskonzern Fonterra, die Ölraffinerie NZ Refining Company und die Gesellschaft Z Energy. Smith argumentiert, dass die Handlungen der Beklagten eine Störung der öffentlichen Ordnung (public nuisance), Fahrlässigkeit (negligence) und einen Verstoß gegen die Pflicht, nicht weiter zum Klimawandel beizutragen (breach of duty to cease contributing to climate change) darstellen.[2] Für letztgenannten Beschwerdegrund besteht nach neuseeländischem Recht keine Anspruchsgrundlage.
Smith behauptet, dass die Beklagten wesentlich zur Klimakrise beitrügen und Orte, die für ihn und seine Gemeinschaft (whānau) von traditioneller, kultureller, historischer, ernährungsbezogener und spiritueller Bedeutung seien, schädigten.[3] Mit seiner Klage verlangt Smith die Feststellung, dass die beklagten Unternehmen (individuell oder zusammen) rechtswidrig eine Pflicht ihm gegenüber verletzt haben; die öffentliche Ordnung gestört oder zu einer solchen Störung beigetragen haben und dass sie ihm durch ihre Handlungen einen Schaden zugefügt haben. Ausserdem beantragt Smith, dass die Unternehmen dazu verpflichtet werden, im Jahr 2024 den Höchststand ihrer Emissionen zu erreichen und diese in den nachfolgenden Jahrzehnten linear zu verringern, um im Jahr 2050 keine Netto-Emissionen mehr zu verursachen.[4]
Im März 2020 wies der Neuseeländische High Court als erste Instanz die ersten beiden Beschwerdegründe ab, liess jedoch den letzten Beschwerdegrund – den Verstoss gegen die Pflicht, nicht weiter zum Klimawandel beizutragen – zu.[5] Dagegen legten sowohl der Kläger als auch die Beklagten Beschwerde ein, worauf der neuseeländische Court of Appeal als zweite Instanz Smith’s Berufung vollumfänglich abwies.[6] Dies unter anderem mit der Begründung, dass das Ausmass und die Komplexität der durch den Klimawandel verursachten Krise regulatorische Massnahmen verlange und nicht durch haftpflichtrechtliche Klagen gelöst werden könne.[7]
Daraufhin gelangt Smith an den Supreme Court in Neuseeland. Er argumentiert, dass seine Klage haftpflichtrechtlicher Natur sei; die Beklagten schädigten ihn und er ersuche die Gerichte deshalb darum, diese Handlungen zu stoppen.[8]
Die Beschwerdegegnerinnen hingegen argumentieren, dass sich weder das Haftpflichtrecht, noch die Institution des Gerichts dazu eigne, mit einem systemischen Problem wie dem Klimawandel umzugehen. Dies müsse vielmehr dem Parlament überlassen werden; jenes habe dieses Thema bereits adressiert und gesetzgeberische Antworten gefunden. Sie machen ebenfalls geltend, dass der Klimawandel aus haftpflichtrechtlicher Sicht unüberwindbare Probleme schaffe, dies insbesondere mit Bezug auf die Bedingungen der Klageberechtigung sowie der Kausalität. Sie fügen dem an, dass eine solche Rechtsentwicklung zu endloser Haftung für Beklagte führen würde und die Wirtschaft drastisch belasten könnte.[9]
Trotz der Argumente der Beschwerdegegnerinnen entschied der Supreme Court, Smith’s Klage zu einer Gerichtsverhandlung zuzulassen. In seiner Begründung führte das Gericht unter anderem Folgendes aus: Das Parlament habe durch seine legislative Tätigkeit in diesem Bereich weiterhin Platz für richterliche Entwicklungen der Rechtsordnung (des common laws) gelassen.[10] Ausserdem sei es trotz des enormen Ausmasses des Klimawandels möglich, menschliche Handlungen, die zu diesem Phänomen beitragen, auf ihre Rechtswidrigkeit hin zu untersuchen.[11] Das Gericht zieht zudem Parallelen zu der industriellen Revolution, in der Gerichte ebenfalls neues Recht schufen, was anschliessend von der gesetzgeberischen Gewalt wo nötig korrigiert wurde.[12] Folglich ist es gemäss dem obersten Gericht nicht gerechtfertigt, die Klage ohne weitere Abklärungen und Beweisabnahmen abzuschreiben; insbesondere der haftpflichtrechtliche Umgang mit kumulativer Kausalität müsse genauer untersucht werden.[13] Das Gericht betont jedoch, dass in diesem Verfahrensstadium noch nicht gesagt werden kann, ob Smith schliesslich obsiegen wird.[14]
Siehe für den Entscheid hier.
[1] Michael John Smith ist ein Stammesältester der Maori Stämme Ngāpuhi / Ngāti Kahu und Sprecher in Sachen Klimawandel des Iwi Chairs‘ Forum, einem nationalen Forum von Stammesführern.
[2] Smith v Fonterra Co-operative Group Ltd [2024] NZSC 5, [7 February 2024, Supreme Court], Rz. 4.
[3] ibid, Rz. 3.
[4] ibid, Rz. 4.
[5] Smith v Fonterra Co-operative Group Ltd [2020] NZHC 419, [2020] 2 NZLR 394 [High Court].
[6] Smith v Fonterra Co-operative Group Ltd [2021] NZCA 552, [2022] NZLR 284 (French, Cooper and Goddard JJ) [Court of Appeal].
[7] ibid, Rz. 16.
[8] Smith v Fonterra Co-operative Group Ltd [2024] NZSC 5, [7 February 2024, Supreme Court], Rz. 10.
[9] ibid, Rz. 11.
[10] ibid, Rz. 101.
[11] ibid, Rz. 155.
[12] ibid, Rz. 156.
[13] ibid, Rz. 155, 166.
[14] ibid, Rz. 1-2.
Alexandra Glarner
8 Januar 2024 | Internationales
Der britische High Court in London hat im November 2023 entschieden, dass eine Klage von über 13’000 nigerianischen Bauern und Fischer gegen Shell vor britischen Gerichten verhandelt werden kann. Gemäss dem Urteil besteht die Möglichkeit, dass die durch Shell verursachte Umweltverschmutzung das Recht der Betroffenen auf eine saubere Umwelt unter der nigerianischen Verfassung sowie der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker verletzt. Deshalb darf die Sache von Gerichten nun abschliessend beurteilt werden. Shell hatte geltend gemacht, dass einige Teile der Klage zu spät vorgebracht worden seien.
Die Klagen der betroffenen Gemeinschaften wurden bereits vor acht Jahren eingereicht. Shell bestritt daraufhin zunächst die Zuständigkeit der britischen Gerichte und argumentierte, nicht für die Handlungen ihrer nigerianischen Tochtergesellschaft, Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC), einstehen zu müssen. Diesen Einwand wies das höchste Gericht in einem Urteil von Februar 2021 ab: die Argumentation, dass die Muttergesellschaft Shell plc mit Sitz im Vereinigten Königreich für die durch ihre Tochtergesellschaft entstandene Verschmutzung verantwortlich ist, sei gut vertretbar.
Im Hauptverfahren bestreitet Shell, dass ein Anspruch der KlägerInnen auf Entschädigung bestehe. Das Unternehmen sagt, dass ihre nigerianische Tochtergesellschaft alle auf eine ihrer Anlagen zurückzuführenden Ausflüsse von Öl behoben und die betroffenen Parteien adäquat entschädigt habe. Zudem hätten es die KlägerInnen – trotz der diesbezüglichen Aufforderung des Gerichts – versäumt, die ihrer Klage zu Grunde liegende Ölverschmutzung genau zu identifizieren. Ausserdem werde Öl von ihren Anlagen gestohlen, worin eine der Hauptursachen für die geltend gemachte Verschmutzung liege. Shell sei nicht für diese kriminellen Tätigkeiten von Drittpersonen verantwortlich. Demgegenüber behaupten die Vertreter der KlägerInnen, Shell lasse das Nigerdelta chronisch verschmutzt zurück und habe den betroffenen Gemeinden keine Abhilfe oder Entschädigung angeboten. Ausserdem habe die Gesellschaft wiederholt versucht, das Verfahren hinauszuzögern bzw. an technischen Details scheitern zu lassen.
Nach dem neusten Urteil kann die Klage nun von den Gerichten weiterbehandelt werden. Erste Anhörungen wurden im Dezember 2023 durchgeführt, die Hauptverhandlung wird 2024 erwartet.
Für weitere Informationen zu diesem Entscheid siehe:
https://www.leighday.co.uk/news/news/2023-news/high-court-rules-nigerian-communities-can-bring-landmark-human-rights-claims-against-shell-for-oil-pollution/ (mit Link zum Entscheid)
https://www.theguardian.com/business/2023/nov/23/shell-to-face-human-rights-claims-uk-over-chronic-oil-spills-niger-delta
https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-11-23/shell-set-to-face-uk-trial-over-devastating-nigerian-oil-spills
https://www.leighday.co.uk/news/news/2023-news/shell-seeks-to-delay-nigeria-pollution-claim-by-13-000-villagers-for-another-two-years/
Alexandra Glarner
27 November 2023 | Internationales
Junge Menschen kämpfen nicht nur an Demonstrationen, sondern auch auf dem Rechtsweg für mehr Klimaschutz. So auch Cláudia Agostinho: die Portugiesin reichte zusammen mit fünf Bekannten am 3. September 2020 eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Diese richtet sich gegen 32 Staaten, nämlich alle Mitglieder der Europäischen Union (EU) sowie die Schweiz, Norwegen, Grossbritannien, die Türkei und Russland.[1]Die Antragsteller*innen argumentieren, dass die Regierungen dieser Länder die Pariser Klimaziele aus dem Jahr 2015 missachten und so ihre Menschenrechte verletzen würden. Drei Jahre nach Einreichung der Beschwerde – am 27. September 2023 – fand die mündliche Verhandlung in Strassburg statt.
Nachdem sie im Jahr 2017 Zeugin von verheerenden Waldbränden wurde und mehrere Hitzewellen miterlebte, entschloss sich Cláudia Agostinho – von einer Juristin inspiriert – gegen die Untätigkeit der europäischen Regierungen Beschwerde zu erheben. Von diesem Vorhaben konnte sie auch ihren Bruder (welcher der Beschwerde seinen Namen verliehen hat), ihre Schwester, eine Nachbarin und zwei Freunde überzeugen. Bis die sechs vor dem EGMR klagen konnten, verstrichen jedoch noch drei Jahre. Die älteste Klägerin, Cláudia, ist derzeit 24 Jahre alt, die jüngste, Mariana, erst elf.
Gemäss den Antragsteller*innen verletzen die 32 Staaten ihre Menschenrechte, da diese Länder nicht genug täten, um sie vor dem Klimawandel zu schützen. Das Gericht prüft derzeit, ob diese Staaten das Recht der Beschwerdeführenden auf Leben (Artikel 2 EMRK), das Recht auf Freiheit von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Artikel 3 EMRK), das Recht auf Privatsphäre und Familienleben (Artikel 8 EMRK) sowie das Recht, nicht aus Gründen des Alters diskriminiert zu werden (Artikel 14 EMRK) in Verbindung mit Artikel 2 EMRK bzw. Artikel 8 EMRK verletzt haben.
Wenn sie mit ihrer Klage Erfolg haben, wird dies von enormer Bedeutung für den Klimaschutz in Europa sein, denn die 32 Staaten könnten durch das Urteil rechtlich dazu verpflichtet werden, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Im Juni 2022 wurde der Fall Duarte Agostinho und andere gegen Portugal und 32 andere Staaten an die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überwiesen. Diese entscheidet in 17er-Besetzung über besonders bedeutende Fälle.
Die Antragsteller*innen wurden in ihrer Klage durch mehrere schriftliche Eingaben unterstützt, die von der Menschenrechtskommissarin des Europarats sowie von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise Amnesty International, Greenpeace und Save the Children verfasst wurden.
Solche Klagen sind keine Einzelheit. Allein vor dem EGMR wurden kürzlich zwei ähnliche Fälle verhandelt, eine Entscheidung steht jedoch bei beiden noch aus. Einerseits wurde vom Verein KlimaSeniorinnen eine Klage gegen die Schweiz eingereicht, andererseits klagte Damien Carême, ein französischer Europaabgeordneter der Grünen, gegen sein Heimatland. Beide werfen ihren jeweiligen Herkunftsländern vor, deren Klimapolitik verletze ihre Menschenrechte. Zudem errangen in den Vereinigten Staaten im Sommer 2023 sechzehn Kinder und Jugendliche einen historischen Sieg gegen den Bundesstaat Montana. Das Gericht entschied in diesem Fall, dass der Bundesstaat die konstitutionellen Rechte der Beschwerdeführenden verletzt hat, indem er die Nutzung von Treibhausgasen gefördert hatte.
Für weitere Informationen zu dieser Klage siehe:
[1] Ursprünglich richtete sich die Klage ebenfalls gegen die Ukraine. Nach dem russischen Angriff auf dieses Land nahmen die Beschwerdeführenden jedoch davon Abstand.
Alexandra Glarner