Junge Menschen kämpfen nicht nur an Demonstrationen, sondern auch auf dem Rechtsweg für mehr Klimaschutz. So auch Cláudia Agostinho: die Portugiesin reichte zusammen mit fünf Bekannten am 3. September 2020 eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Diese richtet sich gegen 32 Staaten, nämlich alle Mitglieder der Europäischen Union (EU) sowie die Schweiz, Norwegen, Grossbritannien, die Türkei und Russland.[1]Die Antragsteller*innen argumentieren, dass die Regierungen dieser Länder die Pariser Klimaziele aus dem Jahr 2015 missachten und so ihre Menschenrechte verletzen würden. Drei Jahre nach Einreichung der Beschwerde – am 27. September 2023 – fand die mündliche Verhandlung in Strassburg statt. 

Nachdem sie im Jahr 2017 Zeugin von verheerenden Waldbränden wurde und mehrere Hitzewellen miterlebte, entschloss sich Cláudia Agostinho – von einer Juristin inspiriert – gegen die Untätigkeit der europäischen Regierungen Beschwerde zu erheben. Von diesem Vorhaben konnte sie auch ihren Bruder (welcher der Beschwerde seinen Namen verliehen hat), ihre Schwester, eine Nachbarin und zwei Freunde überzeugen. Bis die sechs vor dem EGMR klagen konnten, verstrichen jedoch noch drei Jahre. Die älteste Klägerin, Cláudia, ist derzeit 24 Jahre alt, die jüngste, Mariana, erst elf. 

Gemäss den Antragsteller*innen verletzen die 32 Staaten ihre Menschenrechte, da diese Länder nicht genug täten, um sie vor dem Klimawandel zu schützen. Das Gericht prüft derzeit, ob diese Staaten das Recht der Beschwerdeführenden auf Leben (Artikel 2 EMRK), das Recht auf Freiheit von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Artikel 3 EMRK), das Recht auf Privatsphäre und Familienleben (Artikel 8 EMRK) sowie das Recht, nicht aus Gründen des Alters diskriminiert zu werden (Artikel 14 EMRK) in Verbindung mit Artikel 2 EMRK bzw. Artikel 8 EMRK verletzt haben.

Wenn sie mit ihrer Klage Erfolg haben, wird dies von enormer Bedeutung für den Klimaschutz in Europa sein, denn die 32 Staaten könnten durch das Urteil rechtlich dazu verpflichtet werden, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Im Juni 2022 wurde der Fall Duarte Agostinho und andere gegen Portugal und 32 andere Staaten an die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überwiesen. Diese entscheidet in 17er-Besetzung über besonders bedeutende Fälle. 

Die Antragsteller*innen wurden in ihrer Klage durch mehrere schriftliche Eingaben unterstützt, die von der Menschenrechtskommissarin des Europarats sowie von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise Amnesty International, Greenpeace und Save the Children verfasst wurden. 

Solche Klagen sind keine Einzelheit. Allein vor dem EGMR wurden kürzlich zwei ähnliche Fälle verhandelt, eine Entscheidung steht jedoch bei beiden noch aus. Einerseits wurde vom Verein KlimaSeniorinnen eine Klage gegen die Schweiz eingereicht, andererseits klagte Damien Carême, ein französischer Europaabgeordneter der Grünen, gegen sein Heimatland. Beide werfen ihren jeweiligen Herkunftsländern vor, deren Klimapolitik verletze ihre Menschenrechte. Zudem errangen in den Vereinigten Staaten im Sommer 2023 sechzehn Kinder und Jugendliche einen historischen Sieg gegen den Bundesstaat Montana. Das Gericht entschied in diesem Fall, dass der Bundesstaat die konstitutionellen Rechte der Beschwerdeführenden verletzt hat, indem er die Nutzung von Treibhausgasen gefördert hatte. 

Für weitere Informationen zu dieser Klage siehe:  


[1] Ursprünglich richtete sich die Klage ebenfalls gegen die Ukraine. Nach dem russischen Angriff auf dieses Land nahmen die Beschwerdeführenden jedoch davon Abstand.